"Bisque's orangene Glocke"

+ + + _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

 

Sonntag, 12. Juni 2011, 13:13

 

"Bisque's orangene Glocke"

 

Der alte Dichter, der in diesem Haus lebte, war in der Stadt als Kautz verschrien.
Das Haus  war uralt und die Wände schienen sich förmlich unter der Last der

Geschichte zu biegen. Man konnte es beinahe eine Ruine nennen, so wenig ist an dem Gebäude erhalten worden. Die Eingangstür war immer offen, nicht weil sie nie abgeschlossen wurde, sondern weil es kein Schloss mehr gab. Manche würden das als Einladung an Einbrecher verstehen, aber drinnen herrschte ein solches Chaos, dass ein Dieb bei Betreten jegliches Interesse verlor. Das Haus reflektierte seinen Besitzer: merkwürdig, alt und unordentlich.

Heute lag dieser komische Dichter in der Mitte seiner Eingangshalle. Im ersten Moment dachte ich, er sei tot, aber ab und zu zuckte sein Finger als einziges Lebenszeichen.  Auf seinem Handrücken traten unter der papierdünnen Haut die Knochen hervor. Sein gescheiteltes Haar aber sah jung aus. Die Brille mit dem schwarzen Rahmen, die er immer trug, hatte er noch auf der Nase. Wahrscheinlich war diese Brille ein Teil von ihm geworden.

Und so lag er dort. Ich trat ein und bahnte mir meinen Weg durch Dreck, Kleider und Möbel, aber er merkte es nicht.

"Bisque ..."
Mit schriller Stimme rief er meinen Namen. Bei jedem Ausruf erzitterte mein Körper vor Schreck und die Glocke klingelte.

Es war ein erfrieschendes Geräusch. Der Alte musste es auch gehört haben. Er sprang sogleich vom Boden auf und drehte mir den Rücken zu.

"Keinen Schritt weiter!"
Der Mann spieh die Worte aus.


"Komm mir bloß nicht zu nahe!"
Und dann ging er zu einem Berg Papier, das etwas unter sich begrub, was sicher einmal ein Schreibtisch gewesen war. Seine Hand hörte nicht auf seinen Kopf zu kraten. Kaum zu glauben, aber er schrie laut auf, fiel auf den Boden und das ganze ging von vorne los! Ich war völlig verblüfft und setzte mich still in eine Ecke des Zimmers. Die Glocke um meinen Hals läutete leise, wenn ich meinen Kopf drehte.


Kann dieser Mann wirklich Bisque's Familie sein? Alle paar Tage sah ich nach ihm, aber jedes Mal reagierte er genauso wahnsinnig und wild. Wenn er sich nicht auf den Boden warf, war er völlig ins Schreiben vertieft. Etwas befremdet von seinem unnatürlichen Benehmen, versuchte ich möglichst nicht mit der Glocke zu klingeln. Und so blieb ich in meiner Ecke hocken, bis ich eines Tages seinen Stift wegrutschen hörte.

"Uff ..."
Dem lauten Seufzen folgte ein dumpfer Schlag. Er war rückwärts von seinem Stuhl gefallen.

"Endlich fertig.."
Die Art, wie er die Worte ausstieß, war so anders als seine übliche verrückte Schreierei. Ich hob meinen Kopf und die Glocke läutete leise. Auf dem Rücken liegend stöhnte er.
"Oh, Bisque. Bisque mein Liebchen ..."
Ich war mir sicher, dass er gleich wieder losschreien würde, ich sollte wegbleiben, aber stattdessen hob er seinen dünnen Arm und winkte mich heran.

Als ich mit vorsichtigen Schritten näher kam, griff er mich plötzlich am Kragen und zog mich zu ihm runter. Zuerst war ich steif vor Angst, aber dann hörte ich seinen Herzschlag. Er schloss die Augen und streichelte mich.

"Ach, Bisque, bist du das? Du bist so dünn geworden .. seit ich dich das letzte Mal sah.."
Seine knochigen Hände waren rau, streichelte mich aber sanft. Ich saß nur so da, unfähig zu antworten und sein Herzschlag wurde immer schwächer. Er säuselte mir weiter sanft zu..
"Es ist ... unfair ... Jetzt, wo ich endlich ... schlafen kann..."


Seine letzten Worte hörten sich an, als spräche er im Schlaf. Als sich die Hand auf mir nicht mehr rührte, begriff ich endlich, es gab keinen Zweifel mehr. Ich verstand, dass dies die Bisque-Familie mit der orangenen Glocke war. Und als ich meine Augen schloss, konnte ich fühlen wie der Schlag meines eigenen Herzens langsam das Eis, das es umschloss, zertrümmerte..

Ich bin Bisque. Bisque mit ihrer orangenen Glocke.

Die in einen friedlichen Schlaf fiel.
Das Pflegekind des Meisterdichters, den alle verrückt nannten.

 

(Fortsetzung folgt...)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0